Stellt euch vor, die Geschichte wäre ganz anders verlaufen. Die Nazis hätten ihre Kraft nicht auf die Ermordnung der Juden gelenkt, sondern stattdessen Russland besiegt. Die Atombombe wäre daraufhin nicht auf Japan, sondern auf Berlin abgeworfen worden. Die Gründung des Staates Israel wäre gescheitert und stattdessen haben sich die Juden in Alaska angesiedelt. Auch so könnte es passiert sein…
Und genau dies ist die Ausgangssituation des neuen Buches „Die Vereinigung jiddischer Polizisten“ des Bestsellerautors Michael Chabon („Wonder Boys“).
60 Jahre lang haben die Juden sich in Sitka, Alaska, eine eigene kleine Welt geschaffen mit Jiddisch als Amts- und Umgangssprache. Doch nun soll der Distrikt wieder an Alaska zurückgegeben werden. Erneut droht ihnen Vertreibung und Heimatlosigkeit.
Und als wäre dies nicht schon genug, geschieht auch noch ein Mord. Der Polizist Meyer Landsmann vom Morddezernat, selbst ein total zerrütteter Philip Marlowe, wird zunächst auf den Fall angesetzt. Landsmanns Ehe ist gerade in die Brüche gegangen, er trinkt, wohnt in einem abgeranzten Motel, seine Exfrau ist seine neue Vorgesetzte und jetzt soll er auch noch den Tod eines heroinsüchtigen Schach-Genies, der auch noch eine Art Messias sein soll, aufklären.
Doch als der Fall plötzlich von oberster Stelle her zu den Akten gelegt werden soll, beginnt Landsmann zusammen mit seinem Partner auf eigenen Faust zu ermitteln. Langsam werden sie in eine Welt aus religiösem Wahn und politischem Sumpf hineingezogen…
„Die Vereinigung jiddischer Polizisten“ ist eine Art Hommage an die Krimis der 40er Jahre, wobei Michael Chabon aber seine ganz eigene Sprache gefunden hat. Es ist eine Mischung aus anklingender Melancholie, Verworrenheit und satirischem Humor. Zudem lässt der Autor das Jiddisch auf seine Art wieder aufleben. Wer sich ein Lexikon mit jiddischen Schimpfwörtern schreiben will, ist hier richtig. 🙂
Doch nicht nur das Szenario ist absolut irre und spannend, sondern auch, und das ist ja fast das Wichtigste an Krimis, die Handlung hält einen sofort auf Trab.
Nicht umsonst befand sich dieses Buch monatelang auf den amerikanischen Bestsellerlisten und soll nun sogar von den Coen-Brüdern (zuetzt mehrfach Oscarpremiert durch ihre Adaption von „No country for old men“) verfilmt werden.
Ein wirklich eigenes Buch, das seit langem mal wieder etwas frischen Wind in das Krimigenre bringt. Bravo!
Hier noch der Booktrailer auf youtube…
In letzter Zeit wird man ja förmlich mit Mysterythrillern überschüttet. Mich faszinieren diese Geschichten eigentlich schon immer, aber da jeder Autor auf diesem Hype mitschwimmen will und schnell noch ein bißchen Kohle absahnen muss, wiederholen sich langsam die Plots. Verschörungstheorie reiht sich an Satanskulte und immer wieder grüßt das Murmeltier, äh, entschuldigung, das Teufelchen.
Und genau das dachte ich auch bei Milos Urbans neustem Buch. Doch „Im Schatten der Kathedrale“ kann sich ruhig innerhalb der Kirchenthriller sehen lassen, denn im Gegensatz zu manch seiner Kollegen kann Urban schreiben und im Erzählstil gekonnt wechseln.
Roman Rops ist Kunsthistoriker und arbeitet gerade in Prag an einem Buch über den St.-Veits-Dom. Im Morgengrauen erhält er eine anonyme Nachricht, die ihn zu Dom lockt. Im Reliquienschrein findet er kurz darauf eine noch blutige Hand. Doch ehe er es sich versieht steht die Polizistin Klara Brochov hinter ihm und es taucht die passende Leiche zur Hand auf.
Brochov verdächtigt Rops zunächst des Mordes, muss ihn aber wieder laufen lassen. Von da an lässt sie den Mann nicht aus den Augen. Sie ist von dem exzentrischen Eigenbrödler fasziniert und verliebt sich zu ihrem eigenen Entsetzen in ihn.
Doch schon bald geschieht ein zweiter Mord und die beiden werden immer mehr in dunkle Geheimnisse mit hineingezogen…
Milos Urban hat mit „Im Schatten der Kathedrale“ ein spannendes Buch geschaffen, das einen fast bis zum Schluss fesselt. Aber auch hier ist es dann leider so wie bei den meisten dieser Bücher: Das Ende ist dann doch eher enttäuschend. Aber dies mindert das Lesevergnügen nicht sonderlich. Die Atmosphäre ist düster, die dunklen Gewölbe drückend und Verweise auf mittelalterliche Werke, Legenden und Sahen runden diese ganze Stimmung noch ab. Ãœberhaupt überzeugt Urban besonders über seine Sprache. Die Ort- und Personenbeschreibungen sind durch und durch fesselnd und konsequent.
Auch die stetigen Perspektivwechsel zwischen den beiden Protagonisten, die sich umkreisen wie die Motte das Licht, fließen dynamisch ineinander über und sorgen so für Abwechslung.
„Im Schatten der Kathedrale“ kann sich vielleicht nicht mit Büchern von Umberto Eco messen, aber viele andere auf diesem Gebiet hat der Autor sicherlich übertroffen.
Ein spannendes und fesselndes Buch. Sicherlich kein Muss, aber mit seinen 220 Seiten auch schnell gelesen und so die perfekte Unterhaltung für Zwischendurch.
Wie fühlt es sich wohl an seinen Kindern mitteilen zu müssen, dass ihr Vater hingerichtet wurde? Oder was passierte mit der Familie vom fast schon legendären Hitlerattentäter Claus Schenk Graf von Stauffenberg?
Am 20. Juli 1944 missglückt das geplante Attentat auf Hitler. Einer der Drahtzieher und Bombenleger Claus Schenk Graf von Stauffenberg muss seine Kühnheit mit dem Leben bezahlen. Nicht nur, dass er eine Familie mit vier Kindern zurücklässt, sondern auch noch seine Frau Nina Schenk Gräfin von Stauffenberg, die mit ihrem fünften Kind gerade schwanger ist.
Und genau dieses Kind, das seinen Vater nie kennenlernen sollte, Constanze Gräfin von Schulthess hat nun eine Biographie über ihre Mutter verfasst. Sie beschreibt Nina von Stauffenberg als eine selbstständige und starke Person, die durch den Mut ihres Mannes einiges durchmachen musste und trotz allem niemals aufgegeben hat.
Sie zeigt, dass Nina nicht bloß die brave Ehefrau hinter Graf von Staffenberg war, sondern aktiv ihren Mann zu dem Attentat ermutigte und der festen Überzeugung war, er tue das Richtige.
Nach dem Attentat wurde die gesamte Familie Stauffenberg in Sippenhaft gestellt. Die Kinder werden ihr weggenommen und unter falschem Namen zur Adoption freigegeben. Sie selbst wird von den Nazis verhört, kann sich aber als nichtsahnende Hausfrau verkaufen und verrät niemanden. Daraufhin kommt sie ins KZ Ravensbrück in Isolationshaft. Die Zeiten übersteht sie nur, da die Schwangerschaft sie zum Durchhalten zwingt. Sie veranstaltet imaginäre Musik- und Literaturabende in ihrer Zelle und rezitiert Gedichte.
Constanze wird in Gefangenschaft geboren. Zusammen können sie aber nach dem Krieg in Ninas Elternhaus zurückkehren. Sie lebt fortan von ihrer Witwenrente und engegiert sich für den Denkmalschutz und die Deutsch-Amerikanische Freundschaft. Heiraten sollte sich nicht noch einmal. Nina Gräfin von Stauffenberg stirbt 2006.
Constanze Gräfin von Schulthess zeichnet ein feinfühliges und spannendes Porträt einer Frau, bei der die Zeit schwere Wunden hinterlassen, die aber trotzdem niemals ihre Hoffnung verloren hat. Eine wirklich lesenswerte Biographie.
Das Erstlingswerk des britischen Kolumnisten Jonathan Barnes schlägt ein wie eine Bombe. Zunächst war ich ja ein bisschen skeptisch. Ich dachte mir: „Nicht schon wieder so nen Terry-Pratchett-Verschnitt, der auf der Kommerzwelle von Fantasy und Co. mitreiten will. Doch spätestens nach dem ersten Absatz wird man eines besseren belehrt.
Schon der Anfang ist genial: „Seien Sie gewarnt. Dieses Buch besitzt keinen wie auch immer gearteten literarischen Wert. Es ist ein grässliches, gewundenes, zweifelhaftes Konvolut von Unsinnigkeiten, bevölkert von wenig überzeugenden Charakteren, geschrieben in trockener, öder Prosa, der öfteren lächerlich und gewollt bizarr. Es ist wohl überflüssig, hier anzumerken, dass Sie keiner Zeile Glauben schenken werden.“
Und in diesem leicht ironischen, typischen britischen Stil ist „Das Albtraumreich des Edward Moon“ eine spannende und skurrile Mischung aus Fantasy, Horror und Krimi.
Wir befinden uns im viktorianischen London um 1900 herum. Der Zauberer Edward Moon geht langsam auf die 60 zu und löst inzwischen viel lieber Kriminalfälle als auf der Bühne zu stehen. Eines Tages werden er und sein Assistent, ein zwei Meter großer schlafwandelnder Riese, zur Aufklärung einer Mordserie gerufen. (Allein schon die Morde könnten skurriler nicht sein… 😀 )
Immer mehr ziehen die Ermittlungen die beiden in die Unterwelt Londons, zu Fliegenmenschen, Hellsehern und Geheimbünden. Nicht nur sein Schicksal, sondern das der ganzen Welt steht schließlich auf dem Spiel…
„Das Albtraumreich des Edward Moon“ ist fast schon genial und absolut kultverdächtig. Es verbindet die schnippische Sprache eines Oscar Wilde, mit dem Humor von Monty Python und der detektivischen Raffinesse eines Sir Arthur Conan Doyles. Von der Stimmung her, erinnert es zudem ein bisschen an Edgar Allen Poe.
Das Buch ist manchmal kurios, mal gruselig, dann wieder spannend oder poetisch. Es ist die einzigartige Mischung, die es so besonders macht. Noch nie habe ich etwas wie dies gelesen. Jonathan Barnes hat seinen absolut eigenen Stil gefunden und dies ist heutzutage sehr selten…
Zum Ende flaut es zwar etwas ab, aber das tut dem Lesevergnügen keinen Abbruch.
Solche Bücher geben einem die Hoffnung in den Literaturbetrieb und die Kreativität wieder. Ein absolutes Muss für jeden, der noch auf gute Literatur steht! Den Namen Jonathan Barnes muss man sich unbedingt merken.
Ach ja, im Februar ist übrigens Barnes zweites Buch „The Domino Men“ in England erschienen. Man kann also auf die deutsche Fassung gespannt sein. 😉
In seinem neuesten Buch „Klimakriege – Wofür im 21. Jahrhundert getötet wird“ beschreibt der Sozialpsychologe Harald Welzer eine düstere Zukunftsprognose um die Folgen des Klimawandels auf unsere globalen gesellschaftlichen Strukturen.
Dieses Jahrhundert wird für die Weltbevölkerung, besonders die Europas und Afrikas, laut Welzer massive Veränderungen bringen. Schon jetzt merken wir die Folgen des Klimawandels deutlich und während die einen es lächelnd abtun, in der BILD-Zeitung darüber lesen oder nur die Veränderungen der Umwelt bedenken, könnten hierdurch aber auch bestehende gesellschaftlichen Strukturen aufgelöst und mit fatalen Auswirkungen abgewandelt werden.
Zurückgehende Ernten und ein Mangel an Trinkwasser führen in betroffenen Gebieten schon heute zu ökonomischen und sozialen Katastrophen und dieses Phänomen wird sich ausweiten. Auch wir, die sogenannten reichen Länder, könnten davon massiv beeinflusst werden. Schon heute haben diese Umstände zu riesigen Flüchtlingsströmen und Bürgerkriegen geführt, wie die Völkermorde in Dafur oder Ruanda zeigen.
Aber Harald Welzer gibt auch Ausblicke auf das, was man dagegen tun kann oder es zumindest versuchen. Neben einer guten Übersicht über die aktuelle politische Weltlage, verleiht er durch ihre teils neue Kombination alten Thesen eine besondere Intensität.
Andere Rezensionen haben diesem Buch Pathos vorgeworfen. Das finde ich aber überhaupt nicht. Seine Sprache bleibt bei allem sehr sachlich und er hat zudem einen wirklich guten Recherchejob geamcht. Wenn ein gewisses Pathos aufkommt, dann dient es dazu dem Leser den Ernst der Lage begreiflich zu machen und ist somit an manchen Stellen einfach notwendig und verständlich. Wer kann schon bei der Aussicht auf Krieg um Nahrung oder der Veränderung bzw. Intensivierung bestehender oder festgefahrener Strukturen stets sachlich bleiben? Das wäre, meiner Meinung nach, reine Polemik!
Harald Welzer beschreibt uns einen schockierenden Ausblick auf eine mögliche Zukunft, die wir jetz aber noch in dieser Form verhindern können.